2.5 Synizese
Vokale können im Wortinnern vor anderen Vokalen (oder Diphthongen) nicht nur gekürzt werden (vgl. Kapitel 2.4), sondern mit diesem auch zu einer einzigen Silbe verschmelzen. Für diese prosodische Erscheinung wird der Begriff Synizese (von συνίζησις „Zusammenfallen“, eig. „Zusammensitzen“) verwendet. In der klassischen Dichtung ist ein solches „Zusammenfallen“ zweier Vokale im Wortinnern relativ selten und insbesonder auf die folgenden Fälle beschränkt:
- Kasus-Formen von idem, wenn der zweite Vokal lang ist;
- Adjektive und Substantive mit der Endung -eus, -ea, -eum;
- die Wörter de͡orum, se͡orsum, pro͡ut, quo͡ad;
- griechische Wörter, z.B. Tēre͡o.
Als konkretes Beispiel sei erneut ein Hexameter aus der Aeneis genannt (Verg. Aen. 10,487):
una eademque via sanguis animusque sequuntur.
Die ersten drei Wörter stehen im Ablativ Singular. Der Vers beschreibt einen sterbenden Krieger und könnte etwa folgendermassen wörtlich übersetzt werden: „Auf einem und dem gleichen Weg folgen Blut und Seele [d.h. aus seinem Körper, und er stirbt].“ Der Anfang des Hexameters bietet beim Skandieren vermutlich Schwierigkeiten.
Tipp: Ist der Anfang schwierig, beginnen Sie mir der Analyse vom Versende aus!
Versuchen Sie nun, die Längen und Kürzen in Verg. Aen. 10,487 einzuzeichnen.
Eine erste Analyse könnte etwa das folgende Resultat ergeben (die festen Längen im Hexameter sind unterstrichen): ūnā (?) ĕādēmquĕ vĭā sānguīs ănĭmūsquĕ sĕquūntŭr. Dieses Ergebnis zeigt, dass die Endsilbe von una und ea- in eademque lediglich eine Länge oder zwei Kürzen bilden dürfen. Die Erklärung hierfür lautet, dass die Endsilbe von una elidiert wird (vgl. Kapitel 2.6) und der Anfang von ĕādemque in Synizese zu lesen ist und lediglich eine Länge bildet. |
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