E-Learning: Einführung in die lateinische Metrik

 


Inhaltsübersicht

 

Direktzugang

"Hexameter"

 

 

 

1.2 Allgemeine Charakteristika der lateinischen Metrik

Bleiben wir beim soeben diskutierten Vers aus dem 8. Buch der Aeneis. Wer Wilhelm Plankls deutsche Übersetzung von Vers 596 liest, bemerkt eine regelmässige Abfolge von lauter und leiser gesprochenen Silben. Die mit dem Wortakzent versehenen Silben werden lauter gesprochen, vgl. die im Folgenden markierten Silben:

„Dónnernd zerstámpft im Galóppe der Húf den tróckenen Bóden.“

Das deutsche Adjektiv „donnernd“ wird beispielsweise auf der ersten Silbe betont (dónnernd, nicht donnérnd) und kann daher am Anfang eines Hexameters stehen.

Im Lateinischen ist (wie im Griechischen und anders als im Deutschen) nicht der Wortakzent, sondern die Abfolge von langen und kurzen Silben entscheidend. Auch dies lässt sich leicht an Verg. Aen. 8,596 illustrieren. Mit wenigen Ausnahmen gilt im Lateinischen bezüglich Wortakzents bekanntlich das Paenultima-Gesetz:

„In Wörtern mit mehr als zwei Silben fällt der Akzent auf die zweitletzte Silbe, wenn diese lang ist, auf die drittletzte, wenn die zweitletzte kurz ist.“

Boldrini 1999, 4 (zu den Ausnahmen vgl. S. 4-6)

Die ersten drei Wörter des Hexameters haben gemäss dem Paenultima-Gesetz an folgender Stelle ihren Wortakzent: quadripedánte pútrem sónitu (das -i- in sonitu ist kurz, weshalb der Akzent auf die drittletzte Silbe fällt). Vergleichen wir dies mit unserer metrischen Lektüre (quādripedānte putrēm sonitū), sehen wir sogleich, dass der Wortakzent für den Bau des lateinischen Hexameters nicht entscheidend ist. Er kann nämlich sowohl auf eine der festen Längen (bei -ánte) als auch auf eine kurze Silbe (bei pútrem und sónitu) fallen.
Ein Blick auf den Anfang der Aeneis bestätigt diesen Sachverhalt. Bei arma virumque cano sind die festen Längen des Hexameters hier einzuzeichnen: ārma virūmque canō – obwohl der Wortakzent bei cano (sprich: cánō) auf der unmarkierten Stelle im Vers liegt (bei der zweiten Kürze im zweiten Daktylus).

Im Studienbuch zur römischen Prosodie und Metrik von Zgoll (2012) wird der Unterschied zwischen dem Deutschen, einer akzentuierenden Sprache, und dem Lateinischen, einer quantitierenden Sprache, folgendermassen beschrieben:

„Der Blick auf die ‚Metrik‘ als ‚Messkunst‘ zeigt, dass für den richtigen Vortrag antiker Dichtung neben der Rekonstruktion der rhythmischen Struktur die Berück­sichtigung von ‚Längen‘ und ‚Kürzen‘ ausschlaggebend ist. Das hängt mit einem ganz grundlegenden Merkmal des Griechischen und des Lateinischen zusammen. In beiden Sprachen kommt es wesentlich auf die korrekte Aussprachedauer einzelner Vokale und Silben an. Es handelt sich um vornehmlich quantitierende Sprachen. Im Gegensatz dazu ist beispielsweise das Deutsche eine akzentuierende Sprache; hier kommt es bei der Aussprache vor allem auf die richtige Wortbetonung an, und diese Betonung erzeugen wir vor allem durch einen Anstieg der Lautstärke, daneben auch noch durch eine höhere Tonlage.“

Zgoll 2012, 22

 

Rückwärts Vorwärts