E-Learning: Einführung in die altgriechische Metrik

 


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"Hexameter"

"Trimeter"

 

 

 

5. Singverse (nicht κατὰ μέτρον gebaut)

Bei den nicht κατὰ μέτρον gebauten Singversen ist nicht mehr von Metren wie in Kapitel 4, sondern von Kola auszugehen, welche zu Perioden und Strophen zusammengesetzt werden (vgl. zu diesen Begriffen Kapitel 1.5.3). Zu diesen Singversen gehören nicht nur die kompliziertesten, sondern auch die umstrittensten Versmasse der griechischen Dichtung. Bruno Snell schreibt gleich zu Beginn seines Kapitels dazu:

"Auf diesem Gebiet herrscht kaum über einzelne Punkte Einigkeit." (Snell 41982, 37)

In dieser Einführung kann deshalb nur ein erster Einblick in dieses Thema geboten werden, um Ihnen eine selbstständige vertiefte Auseinandersetzung später zu erleichtern.

 

5.1 Epoden

Ein erstes Problem liefert die umstrittene Frage, ob die so genannten Epoden unter den Singversen zu besprechen sind. Kannicht 1997, Utzinger 2007 und Bär 2009 etwa haben sie zwischen den Sprechversen und den Singversen als eigene Kategorie behandelt, da ihr 'Baumaterial' aus den Sprechversen stammt. In dieser Einführung werden die Epoden aber (im Anschluss an z.B. Korzeniewski 1968 und Snell 41982) zu den nicht κατὰ μέτρον gebauten Singversen gezählt, weil ihre zwei- oder dreizeiligen Verbindungen von Kola oft strophengleich wiederholt werden (vgl. unten Archilochos fr. 172 sowie Theokrit, Epigramm 21).

Hephaistion war ein aus Alexandrien stammender Metriker des 2. Jh.s n. Chr. Sein heute noch erhaltenes "Handbüchlein" (ἐγχειρίδιον) wird insbesondere aufgrund der vielen metrischen Beispiele aus verlorenen Dichtungen geschätzt. Nach seiner Zusammenfassung der griechischen Metrik sind Abschnitte eines fragmentarisch erhaltenen Werks Über die Dichtung (Περὶ ποιήματος) erhalten, dessen Verfasserschaft umstritten ist. Auf Seite 71 der Edition von Consbruch 1906 werden die Epoden definiert. Es handle sich um Gedichte, bei denen an einen grossen Vers etwas Zusätzliches angefügt werde. Der στίχος ἐπῳδός, "der dazugesungene Vers", bezeichnete ursprünglich also nur den zweiten, meist kürzeren Vers. Die Bezeichnung wird heute aber für die ganze Strophe benutzt.

Als erstes Beispiel nennt Hephaistion zwei Verse aus Archilochos, die heute das fr. 172 der Ausgabe von Martin West bilden. Versuchen Sie, dieses Gedicht, von dem an anderer Stelle die zwei folgenden Verse überliefert sind, zu skandieren. Es handelt sich um Ihnen aus den vorangehenden Kapiteln bekannte Versmasse.

πάτερ Λυκάμβα, ποῖον ἐφράσω τόδε;

Lösung

 

     τίς σὰς παρήειρε φρένας

Lösung

 

ἧις τὸ πρὶν ἠρήρησθα; νῦν δὲ δὴ πολὺς

Lösung

 

     ἀστοῖσι φαίνεαι γέλως.

Lösung

 

Zusatzangaben zur Lösung
Auf einen jambischen Trimeter folgt als Teil der gleichen Periode – deshalb die Einrückung der Zeilen 2 und 4 – ein jambischer Dimeter. Die strophenartige Wiederholung dieser Verbindung von zwei Zeilen ist typisch für die Epoden.

 

 

Als Baumaterial der Epoden dienen daktylische und jambische Elemente, deren häufigste in der folgenden Übersicht aufgelistet sind.

Daktylische Elemente in den Epoden:

Jambische Elemente in den Epoden:

 

Die frühesten bekannten Epoden stammen von Archilochos, dessen fr. 172 oben bereits skandiert wurde. Auch von Sappho, Alkman, Alkaios, Anakreon und den hellenistischen Dichtern Theokrit und Kallimachos sind Gedichte in diesem Versmass erhalten. In der lateinischen Literatur sind die Epoden durch Horaz bekannt geworden.

Skandieren Sie als Übung das 21. Epigramm von Theokrit. Es handelt sich um eine Inschrift für eine Archilochos–Statue. Da dieses Gedicht auch inhaltlich interessant ist für die Epoden, kann man sich nach der metrischen Analyse eine Übersetzung anzeigen lassen.

Ἀρχίλοχον καὶ στᾶθι καὶ εἴσιδε τὸν πάλαι ποιητάν

Lösung

 

     τὸν τῶν ἰάμβων, οὗ τὸ μυρίον κλέος

Lösung

 

     διῆλθε κἠπὶ νύκτα καὶ ποτ’ ἀῶ.

Lösung

 

ἦ ῥά νιν αἱ Μοῖσαι καὶ ὁ Δάλιος ἠγάπευν Ἀπόλλων,

Lösung

 

     ὣς ἐμμελής τ’ ἐγένετο κἠπιδέξιος (5)

Lösung

 

     ἔπεά τε ποιεῖν πρὸς λύραν τ’ ἀείδειν.

Lösung

 

 

Übersetzung der Strophen von Effe 1999:
"Bleib stehen und schau Archilochos an, den alten Dichter, den der Iamben, dessen zehntausendfacher Ruhm sich ausgebreitet hat sowohl zur Nacht wie gegen Morgen.
Gewiss, ihn liebten die Musen und der Apollon von Delos, so voller Lieder war er und geschickt, Verse zu dichten und zur Leier zu singen."

 

 

Literatur zu den Epoden: Korzeniewski 1968, 123-128; West 1982, 43f.150f.175f.; Snell 41982, 39-43; Sicking 1993, 139-142; Kannicht 1997, 352f.; Utzinger 2007, 18f.; Bär 2009, 49-53.

 

 

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